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„Not the election you were expecting”: Expertenrunde zur US-Wahl 2020

Anstelle einer klassischen Diskussion haben wir die zweistündige Veranstaltung als fernsehähnliche Sendung mit verschiedenen Informations- und Unterhaltungs-Formaten gestaltet – passenderweise moderiert vom Phoenix-Moderator Florian Bauer. Die Resonanz war überwältigend, mit zeitweise 250 Live-Zuschauern, von denen etliche bis zum Schluss online blieben und mitdiskutierten.

Im ersten Teil sprach Moderator Florian Bauer mit dem deutschen Wahlanalysten Julius van de Laar, der US-Demokratin mit deutschen Wurzeln Laura Kupe (Beraterin im Ausschuss für Innere Sicherheit im U.S.-Repräsentantenhaus) und dem US-Republikaner Ron Nehring (tätig für den konservativen Think Tank „Leadership Institute“). Julius van de Laar, der 2008 Teil der erfolgreichen ersten Obama-Kampagne war, gab zunächst einen exzellenten, multimedial unterlegten Überblick über den aktuellen Auszählungsstand in den USA, der an den legendären CNN-Analysten John King erinnerte. Florian Bauer – in der ihm augenzwinkert übertragenen Rolle als CNN-Anchor Wolf Blitzer – ergänzte mit Breaking News aus den USA, die parallel einliefen. Im anschließenden Gespräch gab die Demokratin Laura Kupe, ehemalige Mitarbeiterin der Obama-Regierung, eine Analyse aus Sicht der Biden-Kampagne: ähnlich wie der ehemalige Vize-Präsident gab sich die Anwältin und ehemalige Think-Tank-Mitarbeiterin angenehm faktenorientiert und zurückhaltend: zwar gehe sie von einem Wahlsieg Bidens aus, sie wolle aber das Endergebnis abwarten. Abschließend richtete die schwarze US-Amerikanerin noch einen Appell auf Deutsch ans Publikum: Dieses solle sich eingeladen fühlen, mehr über die schwarze Community zu lernen – schwarze Wählerinnen und Wähler hätten nämlich einen entscheidenden Beitrag am (vermutlichen) Wahlsieg Joe Bidens gehabt. Die Gegenposition nahm der republikanische Politstratege Ron Nehring ein, der unter dem Motto „not the election you were expecting“ z. B. darauf hinwies, dass ein möglicher Präsident Biden der erste Wahlsieger seit 1884 sein werde, der voraussichtlich nicht mit einer Kongressmehrheit in beiden Kammern in seine Amtszeit starten werde. Dies werde ein hohes Maß an parteiübergreifender Zusammenarbeit erfordern – was Biden als jahrzehntelangem, stets auf Ausgleich bedachten Senator gelingen könnte.

So viel bipartisanship schien dem in Deutschland lebenden US-Comedian John Doyle zu gefallen, der den Übergang vom ersten in den zweiten Teil zu gestalten: „I didn’t feel like getting a gun“, so Doyle über die Diskussion bislang, um dann mit Blick auf die US-Wahl zu relativieren: Die Ergebnisse wären gewissermaßen vergleichbar mit der Bescherung an Weihnachten – da sich eine Partei ein tolles Geschenk wie ein Schneemobil gewünscht hätte, nun aber womöglich ein Buch über Genderpronomen bekomme (in Anspielung auf die identitätspolitischen Fragestellungen, die einen Schwerpunkt im aktuellen Wahlkampf gebildet hatten). Für ihn als Comedian sei die ganze Situation dennoch ein Fest, so Doyle, das mit einer Abwahl Donald Trumps zumindest in satirischer Hinsicht anders werden würde.

Nach einer kurzen Pause, die für Publikumsfragen genutzt wurden (interessant: die überwältigende Mehrheit erwartete nun einen Wahlsieg Bidens, hatte mit diesem aber vor der Wahl nur zur Hälfte gerechnet), ging es weiter mit dem zweiten Teil, der in Form einer klassischen Podiumsdiskussion auf Deutsch fortgesetzt wurde. Hier nahmen neben John Doyle die folgenden Personen teil: aus Washington DC zugeschaltet der langjährige Leiter des dortigen Auslandsbüros der Friedrich Naumann Stiftung, Claus Gramckow; die Tübinger Amerikanistin; Dr. Nicole Hirschfelder; und der neue Henry-Kissinger-Professor der Universität Bonn, Prof. Dr. Ulrich Schlie. Sie alle brachten unterschiedliche Aspekte in die Diskussion: Während Hirschfelder den Fokus auf schwarze Wähler/innen legte und betonte, dass diese nicht notwendigerweise einen starken Sozialstaat wollte, sondern oft vor allem an wirtschaftlichen Chancen interessiert seien, betonte Gramckow die starke Spaltung der USA und hielt fest, dass Präsident Trump ohne die Corona-Krise sehr gute Chancen auf einen Wahlsieg gehabt habe – noch im Februar habe er sich dank einer starken Wirtschaft auf dem Höhepunkt seiner Präsidentschaft befunden. Schlie ging schließlich auf die transatlantischen Beziehungen ein und forderte – ähnlich wie auch Gramckow – ein Umdenken in Deutschland und Europa: künftig werde man sich nicht auf alte Gewissheiten berufen können, sondern werde definieren müssen, wo die deutschen bzw. europäischen Prioritäten lägen; in Kooperation mit den USA, aber auch darüber hinaus. Stets ergänzt wurde die Diskussion von interessierten Fragen aus dem Publikum und von aktuellen ‚Wasserstandsmeldungen‘ der Stimmenauszählung, die Moderator Florian Bauer jeweils gekonnt ins Gespräch einbaute.

Wir danken allen Kooperationspartnern, Sprecher/innen und Zuschauer/innen für die aus unserer Sicht spannende, überaus gelungene Veranstaltung!

Eine Aufzeichnung des ersten englischsprachigen Teils der Veranstaltung finden Sie hier: https://www.youtube.com/watch?v=D7n22joSyEU

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